
Von Prof. Dr. Marius Reiser
Jesu Wort von der Sintflut und das Schicksal der «Titanic»
In Lk 17,26f. (vgl. Mt 24,38f.) ist ein anschauliches Gerichtswort Jesu überliefert: «Wie es in den Tagen Noahs war, so wird es auch in den Tagen des Menschensohns sein. Sie assen und tranken, heirateten (nämlich die Männer) und wurden verheiratet (nämlich die Frauen), bis zu dem Tag, an dem Noah in die Arche ging; dann kam die Flut und vernichtete alle.»
In diesem Spruch zieht Jesus eine Parallele zwischen der gegenwärtigen Situation und der Situation kurz vor der Sintflut. Das «Geschlecht der Flut», wie die jüdische Tradition sagt, lebte gedankenlos und unbekümmert in den Tag hinein, «sie assen und tranken, heirateten und wurden verheiratet», kurz: Sie lebten, wie man eben lebt, und daran hat sich bei der Mehrzahl der Menschen unbeschadet aller technischen Fortschritte bis zum heutigen Tag nichts geändert. Vergleicht man dieses knappe Sittengemälde, das Jesus vom «Geschlecht der Flut» gibt, mit entsprechenden frühjüdischen Überlieferungen und solchen der Rabbinen, so fällt sofort auf, dass diese stets die besondere Lasterhaftigkeit des «Geschlechts der Flut» herausstreichen, und dies durchaus mit drastischen Details. Genau das tut Jesus nicht. Er stellt ihr Leben keineswegs als besonders lasterhaft und unmoralisch dar; die Sünde jener Menschen besteht nicht in ihrer übermässigen Lasterhaftigkeit, sondern in ihrer übermässigen Gedankenlosigkeit. Diese Menschen, sagt Jesus, lebten einfach unbekümmert in den Tag hinein und liessen Gott einen guten Mann sein. Diesem gedankenlosen Treiben machte die Sintflut ein jähes und vollständiges Ende.